7 gegen Langeweile (Episode 2)

Seit letztem Montag leben wir im neuen Lockdown light und damit man sich nicht 24/7 langweilen und die eigenen Tränen an den Unmengen Klopapier, die man gehortet hat, trocknen muss, gab es am letzten sowie an den kommenden zwei Sonntagen jeweils 7 Tipps (einen für jeden Tag) gegen die Langeweile aus den Bereichen Film, Bücher/Comics, (Brett)Spiele & Podcasts.

Also, machen wir es wie die Menschen aus Boccaccios „Decamerone“, die sich vor der grassierenden Pest in den Schutz eines Landhauses zurückziehen und bis zum Ende der Krankheit ausharren, während sie einander Geschichten erzählen. Nur dass wir uns in diesem Fall die Geschichten lieber erzählen lassen – von den sieben besten Büchern / Comics:

Snowpiercer Volume 1: The Escape (Jacques Lob, Benjamin Legrand, Jean-Marc Rochette, 2014 bzw. 1982)
„Across the white immensity of an eternal winter, from one end of the frozen planet to the other, there travels a train that never stops.“
Die erste Erzählbox des in schwarz-weiß gehaltenen Comics liest sich wie der Alptraum eines jeden Pendlers – für immer in (teilweise sehr enge) Zugabteile gepfercht zu sein, während die Welt draußen aufgrund einer vom Menschen herbeigeführten Umweltkatastrophe in ewiges Eis getaucht ist. Selbstverständlich befindet sich die gleichnamige Serienadaption dieses Comics seit Mitte diesen Jahres auf meiner Netflix-Watchliste und doch habe ich es noch nicht geschafft, sie zu sehen. Vielleicht war das auch genau richtig so – denn auf diese Weise habe ich völlig unvoreingenommen den Originalcomic aufgeschlagen, den ein guter Freund mir ohne Vorwarnung geschickt hat, und innerhalb eines Nachmittags verschlungen. Als ich später am selben Tag durch eine kleine Google-Suche herausfand, dass Snowpiercer eigentlich aus dem Jahr 1982 und aus Frankreich stammt, war ich doch einigermaßen überrascht (manchmal braucht ein Stoff eben einfach eine lange Zeit, um zu reifen – wie guter Whisky). Das Schöne daran: Die Allegorie auf unsere Klassengesellschaft, im Comic durch die Anordnung und Zustände der Zugabteile versinnbildlicht, funktioniert heute genauso gut wie vor fast 40 Jahren (!!!) und beweist damit mal wieder, wie allgemeingültig diese Nachricht ist. Und auch den Zeichnungen sieht man ihr Alter überhaupt nicht an – einer der vielen Vorteile grafischer Literatur im Gegensatz zum Film.
Wer also gerne noch ein bisschen mehr Endzeit-Stimmung braucht, möge hier sofort zuschlagen!

Batman: The Killing Joke (Alan Moore, 1988)
Letzte Woche habe ich diesen Comic schon beworben, weil er eine großartige Origin-Story des Jokers liefert, in der diese mysteriöse Figur mit einer plausiblen wie tragischen Hintergrundgeschichte ergänzt wird, die einem das Lächeln auf den Lippen gefrieren lässt.
Die beiden Geschichten, die hier ineinander gewoben werden (1. Der Joker flieht erneut aus dem Arkham Asylum und nimmt eine Geisel, mit der er Batman beweisen will, dass nur ein einziger schlechter Tag reicht, um einen Menschen in den Wahnsinn zu treiben. 2. Bevor der Joker zu Batmans unvorhersehbarsten Gegenspieler wurde, versucht er sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser zu halten, um seine schwangere Freundin zu unterstützen. Da seine Gehversuche in der Stand-Up-Comedy erfolglos bleiben, willigt er in ein sehr zwielichtiges Angebot ein.), sind farblich durch die extreme Entsättigung der Background-Story voneinander getrennt und trotzdem so eng miteinander verbunden, dass der Wechsel von der einen in die andere Geschichte kaum wahrgenommen wird.
Auch visuell ist das häufig so clever gemacht, dass es sich lohnt, doch noch etwas länger auf den Panels zu verweilen und jedes Detail wahrzunehmen.
And don‘t forget: It‘s all just a joke.

And then there were none (Agatha Christie, 1939)
Der Titel mag ein wenig sperrig erscheinen – aber das liegt nur daran, dass er bereits zum Zeitpunkt der Veröffentlichung in den USA angepasst wurde, weil er ursprünglich Ausdrücke benutzte, die als sehr rassistisch galten und heute noch gelten. Dies ist dem Umstand zuzuschreiben, dass die Krimi-Legende Agatha Christie sich auf einen Kinderreim bezieht (zu Deutsch etwa „Zehn kleine Negerlein“), der auf makabre Weise den Plot trägt.
Unter seltsamen Umständen werden zehn Fremde auf ein Anwesen auf Soldier Island eingeladen und am ersten Abend mit grausamen Vorwürfen gegen jeden Einzelnen konfrontiert. Ein heftiger Sturm verhindert, dass sie sofort wieder abreisen, und in den folgenden Stunden / Tagen stirbt einer nach dem anderen – immer passend zu den Kinderreimen, die in jedem Zimmer hängen.
Ein bisschen erinnert diese Grundkonfiguration an den aktuellen Online-Spiele-Hype „Among us“, denn wie in diesem Multiplayer muss es sich auch bei einer der Romanfiguren um einen Verräter handeln, wenn sonst niemand auf der Insel ist und unbemerkt umherschleicht. Wem kann man trauen, wenn auf einmal nur noch wenige Überlebende übrig sind? Wer lügt und aus welchem Grund?
Das Ende, bzw. Die Auflösung ist so überraschend wie plausibel und insbesondere ich habe mich gefragt, ob ich es nicht hätte kommen sehen müssen. Vielleicht schaffen es ja die anderen Hobby-Detektive da draußen…

Der Schrecksenmeister (Walter Moers, 2007)
Ein passenderes Buch gemäß des einleitenden Paragrafen hätte ich für diese Liste kaum finden können: „Stellt euch den krankesten Ort von ganz Zamonien vor! Eine kleine Stadt mit krummen Straßen und schiefen Häusern, über der ein schauriges schwarzes Schloss auf einem dunklen Felsen thronte. In der es die seltensten Bakterien und kuriosesten Krankheiten gab: Hirnhusten und Lebermigräne, Magenmumps und Darmschnupfen, Ohrenbrausen und Nierenverzagen.“
Aber keine Sorge, laut Cover ist Der Schrecksenmeister auch “Ein kulinarisches Märchen aus Zamonien“ – und mit Kochen beschäftigen sich in diesen Wochen ja sowieso einige (ich erinnere an den Bananenbrot-Hype aus Lockdown 1.0). Allerdings werdet ihr diese Rezepte nicht nachkochen können, es sei denn ihr habt zufällig frischen Knilschbrömen zu Hause oder wisst, wie man ein Gespenst kocht (und dafür müsst ihr wahrscheinlich erst mal vom Baum der Erkenntnuss essen).
Was so albern klingen mag, hat literarische Wurzeln und ist Walter Moers‘ clevere Überarbeitung von Gottfried Kellers Novelle „Spiegel und das Kätzchen“. Man muss die Vorlage jedoch nicht kennen, um sich an den skurrilen Figuren und den vielen Wortspielen zu erfreuen. Meine Lieblinge aus diesem Ensemble: Die verrückte Schreckse Izanuela Anazazi (bei deren Namen ich aus unerklärlichen Gründen immer innerlich „Lass die Finger von Izanuela“ à la Fettes Brot singen muss) und Fjodor F. Fjodor, der einäugige Schuhu mit einer Fremdwortschwäche.
Aber worum geht es eigentlich: Die kleine Kratze Echo lebt seit dem Tod seiner Halterin auf der Straße und ist kurz davor zu verhungern, als ihm der grausame Eißpin ein Angebot macht, das er nicht abschlagen kann: Bis zum nächsten Schrecksenmond darf Echo bei ihm leben und wird mit den köstlichsten Speisen gemästet. Dann tötet Eißpin die Kratze, um an ihr begehrtes Fett für seine alchemistischen Versuche zu kommen.
Auch wenn „Der Schrecksenmeister“ doch ein kleiner Schmöker ist – die Kapitel sind grundsätzlich in sich abgeschlossen und so kann man das Buch dann doch getrost mal nach einer Geschichte in der Geschichte zuklappen und erst später weiterlesen.
Gnorx ist sehr groß!

The Girl who loved Tom Gordon (Stephen King, 1999)
Auf der Liste der Freizeitaktivitäten steht momentan auch Wandern ganz weit oben und so manch eine/r wird sicherlich schon alle bekannteren Strecken durchs Naturschutzgebiet in der Umgebung abgelaufen haben. Wenn man eins aus Kings Roman für alle zukünftigen Touren lernen kann, dann das: Entferne dich niemals zu weit von den ausgeschriebenen Wegen, selbst wenn du nur kurz pinkeln willst. Zugegeben: Die Gefahr, sich zu verlaufen, ist hierzulande nicht so groß wie in den gigantischen National Parcs im Ausland und auch von gefährlichen Wildtierangriffen hört man nicht oft. Doch für die neunjährige Patricia verwandelt sich ein kleiner Familienausflug eben schnell in eine mehrtägige Horrortour durch dichte Wälder, wobei ihr etwas Großes, Monströses zu folgen scheint. Pfadfinder wüssten sicher beim Lesen direkt, was das Mädchen besser machen könnte, ich für meinen Teil habe an vielen Stellen gedacht: Ich wäre genauso verloren, würde aber wahrscheinlich nicht vor lauter Einsamkeit mit meinem Lieblings-Baseballer sprechen (wie es Patricia tut und woraus ebenfalls der Titel entstanden ist).
Stephen King, oder der Meister des Horrors, mag nicht jedermanns Geschmack sein. Gerade denen, die seine „abgedrehteren“ Werke nicht mochten, möchte ich mich Nachdruck The Girl who loved Tom Gordon ans Herz legen, eben weil es eine so realistische Auseinandersetzung mit einem der ältesten Themen der Menschheit darstellt: Mensch gegen Natur.

Harry Potter and the Half-Blood Prince (Joanne K. Rowling):
Zugegeben, ich habe lange mit mir gerungen, ob ich nicht einfach alle siebenBände der Harry-Potter-Reihe hier aufführe, eben weil sie einfach so großartig sind und man sie immer wieder lesen kann (und sollte). Bei jeder erneuten Re-Lektüre entdeckt man etwas Neues Altes (so wie zum Beispiel, dass das Verschwindekabinett, mit dem – ACHTUNG SPOILER – Malfoy in Band 6 die Todesser nach Hogwarts schmuggelt, bereits in Band 2 auftaucht und dort von Peeves lautstark kaputt gemacht wird, während Harry im Büro von Filch sitzt).
Warum also ausgerechnet Band 6 in dieser Auflistung? Weil Band 6 einfach die perfekte Mischung aus allen Harry-Potter-Zutaten ist: Eine ordentliche Portion Hogwarts-Schulleben (mit allen alltäglichen Eskapaden), viel Pubertäts-Teenager-Drama (wann kriegen sie sich denn endlich?), die Einführung des finalen story arcs, AKA die Horkrux-Jagd und ein wirklich traumatisierender Todesfall (auf der gleichen Stufe wie der erste markerschütternde Tod in Game of Thrones).
Expelliarmus!

QualityLand (Marc-Uwe Kling, 2017)
Gemäß des in QualityLand vorherrschenden Sprachgebrauchs müsste ich jetzt sagen, es ist kein gutes Buch, sondern das beste, und dass euch allen sofort über The Shop ein Exemplar geschickt wird.
Ich kenne einige dystopische Romane, die ein sehr düsteres Bild unserer Zukunft entwerfen, und dieses Werk von meinem liebsten Kleingärtner, ähhh, Kleinkünstler ist vielleicht die realistischste Version, die in den nächsten Jahrzehnten eintreffen könnte.
Peter Arbeitsloser, unser erfolgloser dystopischer Held, gerät durch einen Zufall – ihm wird ein Artikel über The Shop geliefert, den er nicht nur nicht bestellt hat (denn das muss man in der Konsumgesellschaft der Zukunft sowieso nicht mehr eigenständig tun, weil man aufgrund seines Kaufprofils ungefragt Produkte geschickt bekommt), sondern den er auch tatsächlich nicht will. Hier beginnt seine Odyssee durch eine undurchsichtige Bürokratie und digitale Welt, in der unsere Realität davon bestimmt wird, welche Daten wir über uns in den sozialen Netzwerken preisgeben und welche umgekehrt dazu genutzt werden, uns als Konsumenten zu definieren.
QualityLand ist deutlich anders als die Bücher der Känguru-Reihe (nicht nur durch den fortlaufenden Plot) und doch werden sich auch Freunde des anarchistischen Kängurus über zahlreiche Seitenhiebe und Nebenauftritte des vorlauten Beuteltiers freuen. Was nicht heißen soll, dass diese Buchempfehlung nur etwas für Känguru-Fans wäre.
Und dann ist ja auch noch kürzlich QualityLand 2.0 erschienen…

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